Im Jahre 1959 nahm das Kölner Erzbistum das Projekt der in Neviges neu zu bauenden Wallfahrtseinrichtung selbst in die Hand. (18) Es entwickelte ein großzügiges Programm und übernahm dafür die Finanzierung, so dass die Bauherrenrolle des Franziskanerordens in Neviges auf eine Statistenebene reduziert wurde. (19) Es bestand nun die Absicht, den größten Sakralbau im Erzbistum Köln – nach dem Kölner Dom – und eine Zahl weiterer kirchlicher Einrichtungen, die bisher um das Kloster herum verstreut in Altbauten untergebracht waren, neu zu errichten. (20) Wie beim Kölner Generalvikariat bei Projekten dieser Größenordnung üblich, wurde 1962 ein eingeladener Wettbewerb ausgeschrieben (21), bei dem 17 Architekten mit der Zusage eines festen Honorars auf die entsprechenden Liste kamen. (22) Mit der Einladung des Schweden Camil Zupanc aus Stockholm hatte das Verfahren sogar einen Schimmer von Internationalität bekommen. Von den aus Deutschland eingeladenen Teilnehmern stammten, bis auf den Münchener Alexander von Branca, alle aus dem Umkreis der Erzdiözese Köln.
Das Programm sah eine mit 900 Sitzplätzen und 2000 – 3000 Stehplätzen, Raum für vier bis fünf Seitenkapellen zur Aufstellung von Nebenaltären, eine Sakristei sowie eine Beichtkirche mit sechs Beichtstühlen vor. Dazu kamen noch eine Sakramentskapelle und eine Kapelle für die ganz jährige Aufstellung des Kultbildes der Nevigeser Wallfahrt: ein aus einem Gebetbuch stammenden Kupferstich mit einer allegorischen Darstellung der Unbefleckten Empfängnis Mariens. (23) Der Hauptzugang der Kirche war zum Bahnhof hin auszurichten. Neben der Kirche waren unter anderem noch ein Schwesternwohnhaus, ein Kindergarten mit Hort, ein Missionsmuseum sowie ein Altenheim zu planen. Als Baugrundstück stand der alte Klostergarten, also das Gelände westlich des Klosters bis zur Löher Straße und darüber hinaus nördlich bis zum Bahnhof. Zur Verfügung. Die auf den entsprechenden Grundstücken befindlichen Gebäude waren zum Abriss freigegeben.
Das Preisgericht tagte am 16. Juli 1963 unter dem Vorsitz von Willy Weyres, dem Kölner Dom- und ehemaligen Diözesanbaumeister. Es hatte hauptsächlich die Wahl zwischen einer funktionalistischen Moderne nach dem Vorbild von Ludwig Mies van der Rohes IIT-Kapelle in Chicago (1952) und freieren, an Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp (1950 – 55) orientierten Formen. (24) So präsentierte etwa die Hälfte der Wettbewerbsteilnehmer einen isolierten Kasten auf vorzugsweise quadratischem Grundriss. Besonders deutlich wird das Vorbild bei dem Beitrag von Manfred Adams, der einen Abkömmling der Berliner Nationalgalerie mit von Le Corbusier inspirierten Oberlichtern zeigte. Neben dem Flachdach (Adams, Faber) erscheinen bei diesen kastenförmigen Baukörpern auch noch die Pyramide (Brauns-Janeschitz), der Trichter (Burghartz) und die parabolische Laterne (Lehmbrock) als oberer Abschluss. (Abb. 5)
Zu diesen Gebilden kamen noch einige relativ frei geformte Entwürfe, unter anderem in Schneckenform (Schneider-Esleben), in gestalt eines Herzens (Neuhaus), als Kleeblatt mit drei Apsiden (Krahn), als Bienenwabe (Fiedler & Ehrling), als „Basalt-Berg“ (Schürmann), als Faltwerk (Funke) und ein nicht eindeutig einem Vorbild aus der Natur zuzuordnender Baukörper (Schiffer). Darüber hinaus gab es noch zwei an der traditionellen christlichen Basilika orientierte Entwürfe (von Branca, Zupanc). Bei all diesen Entwürfen war die neue Wallfahrtskirche nordwestlich des Klosters zum Bahnhof hin angeordnet, während die Nebenbauten in dem alten Klostergarten, das heißt in dem Bereich westlich des Kloster eingebaut wurden. Der Neigung des Terrains wurde in der Regel durch die Abtragung des Hanges und/oder durch die Aufschüttung einer Terrasse begegnet. (25)
Das Preisgericht prämierte jeweils ein Beispiel aus allen drei formalen Gruppen, wobei die Auswahl eine Bevorzugung funktionalistischer Paradigmen erkennen ließ. So erhielt der Entwurf von Kurt Faber mit seinem einfachen, nur durch eine leichte Faltung aufgelockerten Kasten den ersten Preis. Das Preisgericht lobte an diesem Projekt unter anderem die „große schlichte Form“ und die „Logik des Baukörpers“. Joachim und Margret Schürmann mit ihrem „Stufenberg aus Sechseckprismen“ wurden mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. An diesem Entwurf lobte das Preisgericht vor allem die Nebengebäude als „tadelfrei“. Der dritte Preis ging schließlich an Alexander Freiherr von Branca mit seinem Entwurf, der „auf dem archaischem Grundriss des Kreuzes“ beruhte. Zur Ausführung empfahl das Preisgericht die Kirche von Kurt Faber und die Nebengebäude von Joachim und Margret Schürmann. (26)
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